Erscheinungsjahr: 2016
Website: http://www.the-vision-bleak.de/

Was ist “das Unbekannte”, das das sechste full-lenght Album des deutschen Horror-Metal-Duos The Vision Bleak betitelt? Schauen wir uns das Coverbild des Albums genau an, um eine Antwort zu erhalten.

Vor uns öffnet sich ein raues und krüppeliges Unterholz, das den Blick auf eine unheimliche Nachtlandschaft verstellt. Das Panorama wird kaum vom Mond beleuchtet und vor einem Abgrund fällt nur eine einsame menschliche Silhouette auf. Gebrochene Felsen ragen im Hintergrund unter den sich windenden Nebeln und dem Gewölk hervor, während Wasserfälle wild zwischen gezackten Gipfeln fließen.

Sicherlich sind die Tannendickichte und die felsigen Gipfeln des Coverbildes uralt: Sie schweigen in stiller Feierlichkeit. Sie sind theoretisch dieselben, die der deutsche Maler Caspar David Friedrich (Greifswald 1774 – Dresden 1840) vor dem Entwerfen seiner Gemälde bewunderte.
Als Beweis dafür kann man sicherlich die bekannte hohe Wertschätzung des vielseitigeren Musikers der Band Schwadorf für den romantischen Künstler aus Greifswald anführen, aber man kann auch weitere Aspekte hinzufügen, wenn man einige Kunstwerke des Malers untersucht.

Schauen Sie sich zum Beispiel das Gemälde “Felsenlandschaft im Elbsandsteingebirge” von 1822/1823 an. Beobachten Sie dann die dürren, knorrigen Äste und den trüben Himmel der “Winterlandschaft” von 1811.
Nicht zuletzt hat die menschliche Silhouette im Coverbild mit ziemlicher Sicherheit einen Vorgänger in Friedrichs “Der Wanderer über dem Nebelmeer” von 1818.
Meiner bescheidenen Meinung nach könnte genau diese menschliche Silhouette eine Antwort auf unsere Frage darstellen. Sehen wir mal.

Subjektive Innerlichkeit und die selbstgewählte Abgrenzung von der Gesellschaft waren für Friedrich von grundlegender Bedeutung, um sich der sogenannten “Transzendenz” zu nähern, nach der sich viele romantische Künstler sehnten. Die Liedertexte von “The Unknown” drücken ebenfalls dasselbe Konzept aus: Ein Beweis dafür findet sich beispielsweise im Text des zweiten Liedes des Albums “From Wolf to Peacock”.

Friedrichs Suche wurden jedoch nicht vollendet und seine Sehnsucht blieb unbefriedigt. Obwohl der Maler lebenslang nach dem “Sublimen” strebte, lösten sich nämlich alle seine Anstrengungen in einem ziellosen Leiden auf, insbesondere in seinen letzten tragischen Jahren.

Hier bemerkt man den Unterschied zwischen dem “Suchenden”, der in einigen Texten von “The Unknown” der Protagonist ist, und dem “Wanderer” – alter Ego von Friedrich.

Der “einsame Suchende” begeht zwar den gleichen “Weg” wie der Maler, aber seine Suche endet nicht in einer Sackgasse, auch wenn seine metaphorische Reise nicht risikolos, und sein Ziel entsetzlich ist.

Der “Suchende” des The Vision Bleak ist in der Tat standhaft («Wer kann sich mir widersetzen?», lautet der Titel eines anderen Songs des Albums). Er ist sich des Risikos bewusst und er ahnt voraus, dass sich sein inneres Selbst dunkel verändern wird. Er übertrifft die Grenzen der menschliche Natur, indem er die düsteren Folgen seiner Entscheidung absichtlich hinnimmt.

Daraus könnte man vielleicht diesen Schluss ziehen: Je mehr der Protagonist sein Inneres verändert, desto mehr verliert die Darstellung der Silhouette im Coverbild an Schärfe. Im Gegensatz dazu bleibt die Darstellung von Friedrichs Wanderer stets in naturalistischer Präzision.

Daher gibt es keinen Unterschied mehr zwischen dem “Suchenden” und dem verschleierten Geheimnis der Landschaft, der er gegenüberliegt: Alle Umrisse gehen nämlich verloren, sie verblassen. Der “Suchende” taucht im übertragenen Sinn immer tiefer in sein eigenes Geheimnis ein, um einen Teil von sich selbst zu entdecken.

So wird die verschwommene Landschaft auch zur Metapher für eine innere Reise, die die Reise eines jeden von uns in sein eigenes Geheimnis sein könnte.

Wer ist dann “der Unbekannte”, der das sechste Album von The Vision Bleak betitelt? Vielleicht sollten wir ihn einfach im Spiegel suchen.
Paolo Crugnola